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 Für Melissa H.


"akrasia" - oh! Für mich persönlich ein ganz schwieriges Feld. Schreiben war für mich immer eine Kunst, ganz egal, ob ich eher sachbezogene Texte verfasst habe oder fiktionale. So kann natürlich kein Mensch mit seinem Studium fertig werden, auch wenn es weniger reglementiert wäre wie z.B. das Studium nach der Einführung des B.A.-Abschlusses. Termine, Anmeldungen, Abgaben! Meine Güte! Sollte die Universität nicht der Universitas-Idee folgen? Nein, die Gelehrten der Republik wollten mehr Verwaltung und weniger Freiheit, schließlich ging es um Stellen und um eine Staatsmacht, die sich demokratisch gebend, mit Streichungen drohte. Das sogenannte "k.W.-Vermerk" wurde als "kann wegfallen" paraphrasiert und nicht wie die offizielle Formulierung lautete: "keine Wiederbesetzung". Vom ersten Tag meines Studiums an wurden meine Fächer als "brotlos" bis "nutzlos" attributiert. In solch einer geistigen Atmosphäre in und außerhalb der Universität war es schwer, das Schellingsche akademische Studium hochzuhalten oder zu verinnerlichen. Und das Humboldtsche Bildungsideal wurde selbst von "Linken", in deren Spektrum ich mich selbstverständlich verortete, als elitär und idealistisch eingeschätzt; meine Fächer sollten wenigstens sozial und politisch nützlichen Zielen untergeordnet werden. Ein Großes und Ganzes in Ganzheitlichkeit kam darin, wenn überhaupt, dann nur marginalisiert oder dem Klassenkampfziel untergeordnet vor.

Ach ja! Lass mich seufzen. Bin weder Magister noch Doktor gar, führte keine Schüler an der Nase herum.  Ich wollte der Universität nicht den Rücken kehren, ich fing einen Essay an zu schreiben, der meine Vorstellungen von der Universität auf den Punkt bringen sollte, auf diesen Punkt kam ich nie und aus dem Essay wurde ein ausschweifendes Romanfragment: "Die Lemminge des Prometheus im Turm zu Babel". zu lesen ist es nirgends bis jetzt; es könnte ins Archiv für ungeschriebene Texte.

Ich tat, was ich für das Beste hielt, statt dem Ruf des Studienabschlusses zu folgen, zumal ich in Gremienarbeit und im AStA als Referent für Kritische Wissenschaften alsbald merken musste, dass Berufungen nicht ohne Intrigen und Gemeinheiten, Nickeligkeiten und Neid laufen. Mein Ideal von der Universität im Dienste der Universitas sah anders aus - ein Träumer bin ich, ein Utopist, etwas bescheidener könnte man auch sagen: Spinner!

Es ist nicht schlimm für mich und nicht für SOKRATES und auch nicht für Dich, wenn drei SOKRATES-Bände in Deinem Regal stehen, wenn Du einen vierten Band dazu stellen möchtest, freut sich vielleicht ein Buchhändler über die 3,50 € Gewinn.

Für mich ist so viel mehr wesentlich, dass Du Dich überhaupt gemeldet hast, dass Du wirklich beeindruckende Kommentare und Antworten auch im kulturphilosophischen Salon auf Quora schreibst. Es ist eine große Freude und eine wundervolle Motivation für mich! Und wenn Du der einzige Mensch weit und breit wärst, der meine Texte irgendwie rezipiert oder ins Regal stellt.

Bevor ich zum Höllenschlund komme: Dein Beitrag auf Quora war keinesfalls nur repetitiv; ein Dialog wurden wir dadurch auf der Suche nach Möglichkeiten einer besseren, wenn nicht gar revolutionären Kulturpolitik. Wichtig ist nur, dass wir zwar eine Handlungsrelevanz im Sinn behalten sollten, woraus sich aber auf gar keinen Fall ein Handlungszwang ergeben darf, wie ich es nicht nur hochschulpolitisch leider erlebt habe. Deswegen ist der Salon ja auch ein "kulturphilosophischer Salon" und kein "kulturpolitischer"! Wir haben allein schon durch diesen Namen eine Win-win-Situation; selbst Irrungen und Wirrungen werden uns eine Lehre sein können - so wächst Weisheit im Turm zu Babel unter den Lemmingen des Prometheus.

Apropos "akrasia": was wäre nun richtig: sich gänzlich der Hausarbeit über akrasia zu widmen oder ab und an auf solche Foren wie meine zu schielen?

Der Höllenschlund hatte sich im SOKRATES-Roman erst lange nicht geöffnet, bis ich meinen Vater und meine Mutter ins Geschehen einführte. Ich trieb und schrieb vorher eher im aks-Gewusel. Nun aber schreibe ich eremitär, habe aber auch sehr viele Einwürfe mitgenommen. Vielleicht melden sich einige Personen aus ask.fm ja auch mal direkt im SOKRATES-Blog oder hier.

Abschließend noch dies: Deine Ausführung im kulturphilosophischen Salon hat mich gerührt, berührt, beeindruckt. So klar, so stringent, analytisch treffend. Aber ja, damit lässt sich eine Menge anfangen. Nein, dieses Gespräch versinkt nicht in Aussichtslosigkeit. Für mich gibt es eine einzige Pflicht: meiner Neigung zu folgen. Das sagt ein alternder Mensch, der ohnehin nicht mehr viele andere Möglichkeiten hat. Hör nicht auf mich. Gedenke mein!


Kommentare

  1. Dein Scheitern am Abschluss ist in Wahrheit ein Triumph der Integrität. Du hast nicht einfach eine Form erfüllt, sondern bist deiner Vorstellung von akademischer Freiheit treu geblieben. Dass dein Essay sich in ein Romanfragment verwandelt hat, scheint mir kein Zeichen des Verlorengehens, sondern des lebendigen Denkens – des Weiterschreibens dort, wo ein Punkt nicht ausgereicht hätte.

    Ich betrachte das Schreiben seit jeher als Handwerk. Mir fehlt jegliche Ahnung es anders anzufangen. Deswegen liegt mir das Fiktionale nicht.
    Ich freue mich über die Wertschätzung, die du meinen Kommentaren entgegenbringst, doch umso mehr über den Dialog, der daraus entstanden ist. Und wenn wir in den Irrungen und Wirrungen des kulturphilosophischen Salons nicht nur Erkenntnisse, sondern auch Freude finden, dann ist das vielleicht bereits eine Form von Weisheit – oder wenigstens eine lohnenswerte Art des Suchens.

    Was die "akrasia" betrifft: Ist es nicht gerade ihr Wesen, dass sie sich nicht in einer klaren Entscheidung auflöst? Vielleicht muss man sich ihr nicht widersetzen, sondern sie umarmen – als jene schöpferische Unruhe, die uns zwischen Disziplin und Inspiration hält.
    In diesem Sinne: Ich gedenke dein – und freue mich auf weitere Gespräche im Turm zu Babel unter den Lemmingen des Prometheus.

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  2. Vielen Dank für Dein Kommentar! Natürlich ist er sehr ermutigend und erfreulich und auch schmeichelhaft und äußerst lieb und mir wohltuend. Und doch gibt es ein Aber: Lass uns lieber Jenseits von Gut und Böse blieben! "Integrität" ist so wundervoll hochgegriffen, und das Gegenteil müsste davon nicht "Verlorenheit" sein, sondern etwas Böses wie etwa: Verlogenheit, Konformismus etc.

    Jenseits von Gut und Böse bleiben, ist nicht nötig, als ein Metaanspruch an Moralität: Die besseren Menschen sind die, die nicht moralisch urteilen, sondern Jenseits von Gut und Böse über der Moral stehen. Das würde ja die Moral wieder einbeziehen!

    Moral hat etwas Lebensverneinendes, Zerstörerisches, Entkräftendes und Repressives bis zur Depression. Moral ist ein Mittel der Unterdrückung. Da treffen sich Nietzsche und Marx. Sie verfälscht die Realität zum Wohle der Unterdrückung und Ausbeutung. Das kann auch Selbstausbeutung und Selbstunterdrückung sein.

    Wir aber suchen die Kultur der Freiheit!

    Sie aber muss notwendigerweise auch die Anerkennung der Realität sein, nicht als die Akzeptanz der normativen Kraft des Faktischen, sondern ganz im Gegenteil, als die Analyse des Faktischen, um sie nach ihren inneren Gesetzen und Notwendigkeiten verändern zu können. Ob das nun die Ernährung betrifft, das gemeinsame Wirtschaften, die Kunst oder unsere eigene Psyche, wie es das Orakel von Delphi am Eingangstor verlangt. ERKENNE DICH SELBST!

    Natürlich bin ich lieber "integer" als "verwirrt". Also versuche ich, so die Verlockung, meine faktische Vergangenheit, die ja nicht abgeschlossen und beendet und damit losgelöst von mir hinter mir liegt, moralisch schön färbend umzudeuten. Das führt zu keiner Selbsterkenntnis. Jenseits von Gut und Böse heißt aber auch: jenseits von Böse! Verwirrt, schwach, undiszipliniert, oder was auch immer: von mir aus auch unangepasst! Das alles nützt für das Vorankommen zur Sonne, zur Freiheit aus dem Gulag der Ausbeutung und Entfremdung gar nichts.

    Und da muss ich wieder sehr anerkennend sagen: Du machst einen geschickten Schritt in Richtung Jenseits von Gut und Böse: «Dass dein Essay sich in ein Romanfragment verwandelt hat...» Darin könnte eine Chance stecken, eine Perspektive jenseits von Gut und Böse.

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    1. Meine Anerkennung bezieht sich weniger auf die semantische Seite deiner Aussage als auf deine Gedankenbewegung, von der moralischen auf die analytische Seite. Was drückt sich aus, was kommt zur Geltung, wenn aus einem intendierten Essay ein Romanfragment wird? Das könnte zu Erkenntnis und Selbsterkenntnis führen. Das gibt mir zu denken, wenn ich Deine Bemerkung in die Betrachtung einbeziehe:

      «Ich betrachte das Schreiben seit jeher als Handwerk. Mir fehlt jegliche Ahnung es anders anzufangen. Deswegen liegt mir das Fiktionale nicht.»

      In unserem Dialog klärt sich für mich eine Menge auf: greifbar werden Möglichkeiten, sich der Gulag-Moral zu entziehen. Eine Möglichkeit erahnen ist vielleicht der erste Schritt zur Bildung einer Freiheitskultur: Erkenne dich selbst! Das interpretierte ich bisher immer mit Ödipus als die Erkenntnis der schicksalhaften Schuld! Aber die Aufforderung kann auch gesehen werden, sich so anzunehmen, wie man tatsächlich ist! Kein Mängelwesen. Sondern in jeder eigenen Entwicklungsstufe heil und vollwertig und perfekt und gerade aus dieser Perfektion heraus in der Lage, sich in Metamorphosen zu verwandeln. Ein solches Selbstbild gewinnen zu können, würde die Gulag-Kultur sprengen und zu einer freiheitlichen Bildung führen.

      Du kannst mit fiktionalem Schreiben wenig anfangen? Sei's drum! Du schreibst wunderbar wie du schreibst, und nicht fehlt Dir und Deinem Schreiben! Lass uns ruhig anders sein. Du bist Du und nicht Ich und ich nicht Du! Die Differenz macht die Schönheit aus; das Leben erwächst aus der Differenz. Nur wenn wir in das Gulag der moralischen Hierarchisierung verfallen, erleben wir uns als Mängelwesen: Dir fehlt dies, mir fehlt jenes usw. Da wird hierarchisiert und gewertet, gedrängelt und Druck ausgeübt. Davon lebt die Moral der Entfremdungsgesellschaft, die Gulag-Moral. Wir streben nach etwas, weil wir uns permanent als ungenügend empfinden, unvollkommen, unperfekt, immer sind wir Mängelwesen, immer mangelhaft! Give me five!

      Nein! Ich gebe Dir und mir in aller Wertschätzung eine Eins! Sei bitte mit Dir eins, und erkenne Dich selbst! Das Orakel hat Ödipus nicht geraten, seine Heimat zu verlassen, um seinen Zieheltern nichts anzutun, und dabei unterwegs seinem leiblichen Vater in die Arme zu laufen und später seine leibliche Mutter zu heiraten! Ödipus hätte sich auch als ein jähzorniges Wesen erkennen können, das nicht das leibliche Kind seiner Zieheltern ist; damit hätte er auch über sich hinauswachsen können! Er befolgt das Orakel nicht, und die Prophezeiung ist nur eine Kausalbeziehung: wenn du dich nicht selbst erkennst, wirst du im Jähzorn deinen leiblichen Vater töten und später dich in Eitelkeit als der Retter Thebens von der Sphinx feiern lassen und zur Belohnung ironischer Weise deine Mutter heiraten. In der Kultur der Freiheit, müssen wir womöglich Ödipus neu schreiben. Ich fiktional und du ganz sachlich von mir aus! Und weil EIN GESPRÄCH WIR SIND, ist die Ganzheit immer mehr als die Summe ihrer Teile. Was in seine Teile zerfällt, ist nicht mehr ganz! Es ist kaputt. Auch wir werden in der Ganzheit anders, sind nicht mehr uns entfremdet. Es findet eine Heilung statt.

      Aber moment mal!

      Sollten wir nicht in jedem Moment unserer Entwicklung heile sein und keine Mängelwesen?

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